"Selbst, LOS!"

Mein guter Vorsatz fürs neue Jahr: Weiter so!

Um einen unangenehmen Zustand zu beenden, gibt es zwei Wege: Entweder, du handelst an dir selbst oder du handelst an der Welt. Dass letztere nicht die am schönsten denkbare ist, dürfte bekannt sein. Anstatt aber Träume von einer besseren Welt die guten Vorsätze diktieren zu lassen, vollzieht sich mit traumwandlerischer Sicherheit zu jedem Jahreswechsel neu ein seltsam anmutendes Schauspiel.

[Vorhang auf]

Am Anfang sitzt da die Welt, groß und weit, aber als Bühne eher untauglich, da hochvermauert, zerklüftet und ausgewaschen. Dann tritt der Gestaltungswille auf den Plan, jahrüber von Scheiternsängsten und Unzulänglichkeitserleben, Wut, leiser Trauer und wandernden Wünschen gemästet und fett. Da die Welt sich unzugänglich gibt, verharrt er einen Moment, lauert und stürzt sich dann stattdessen wandlungslüstern auf das Selbst, das zunächst etwas schüchtern auf die Bühne huscht. Im Ringen entfaltet es aber ungeahnte Kräfte und lässt die Wandelwut keinen Millimeter unter die Oberfläche dringen, wo [man sieht es, wenn man durch die Maskerade lugt] feixend ein paar dicke Laster hocken und mit den ererbten Sünden wuchern.

So bleibt die Wandelwut, wieder schüchtern zum Gestaltungswillen abgeschwollen, züchtig diesseits der Seele und rollt stattdessen ein paar Speckröllchen vor sich her, winkt mit dem Nordic-Walking-Stöckchen und anderen Requisiten, tritt dabei lässig eine noch glimmende Kippe aus. Jedoch dauert es nicht länger als bis zum zweiten Akt, da hat das Selbst, von der Welt stillschweigend mit Lustabwehrraketen aufgerüstet, die Zigarette wieder angezündet und den Gestaltungswillen ganz an den Rand der Szene gedrängt, der in stummem Greinen in den Souffleurkasten entweicht, wo er der nächstjährigen Aufführung harrt.

[Pause]

Wer aber hinter den Kulissen arbeitet, wer den Regisseur des üblen Stücks kennt und über bühnenbildnerische Grundkenntnisse verfügt, der wählt lieber den anderen Weg. Und verändert man im Stillen nur eine Kleinigkeit an der Welt, kann es geschehen, dass die Schauspieler auf ihrem Rücken ins Straucheln kommen.

Fällt dann der Gestaltungswille ungehalten in die Mauern und reißt die Kulissen nieder, steht das Selbst ohne Gegner und ohne Einsatz da. Und kramt es auch Sünden und Laster hervor und versucht verzweifelt, damit die Mauern zu stützen – die Szene rettet es nicht mehr. Die Scheinwerfer richten sich bereits auf die Risse in den Staffagen, ein Raunen geht durchs Publikum, da endlich löst sich das Selbst aus dem Spiel und schlägt mit Wandelwut gemeinsam auf den Bühnenhimmel ein.

Erst wenn sie den Hintergrund freigelegt, den Regisseur davongejagt haben und sich mit neuer, ungespielter Ruhe daran machen, die Szenerie nach ihrem eigenen Geschmack zu gestalten, kann das neue Jahr kommen und bleiben.

[Vorhang zu]

Ich habe im vergangenen Jahr begonnen, das Bühnenbildner-Handwerk zu erlernen und so kann mein guter Vorsatz für 2012 nur lauten: "Weiter so! Verändere die Welt und verändere dich selbst. Selbst, LOS!"