Aus der Woche gegriffen

Mein Hund

 

Mein Hund

Tel chien tel maître!
Man sagt, Menschen seien wie ihre Hunde – oder umgekehrt. Ach, wie schön, wenn es so wäre!
Ich wäre gern wie mein Hund. Mein Hund ist wunderbar.

Mein Hund ist immer freundlich.

Er geht auf jedes andere Wesen zu, wedelnd, offen, höflich.
Ist das Gegenüber ängstlich, miesepetrig oder abweisend, schwänzelt mein Hund ganz vorsichtig darauf zu, bis es sich wider-öffnen mag.
Ist das Gegenüber verbiestert, aggressiv oder feindselig, schnauft mein Hund und geht vorüber.
Greift das Gegenüber an, weicht mein Hund aus, weist es mit einem einzigen Wuff! in die Schranken und geht fort. Geht stolz und ungebeugt.

Mein Hund ist unendlich mutig.

Oh ja, er weiß, was Angst ist, er weiß, was Leiden heißt. Die riesige Narbe an seinem Hals und seine verzweifelte Trauer, wenn man ihm aus Versehen auf die Pfote tritt, zeugen davon. Und doch: Wähnt er uns bedroht, steht er auf, zitternd, und stellt sich schützend neben uns, der Gefahr entgegen. Wie damals im Zug, als der Betrunkene uns angriff. Oder wie auf der Feier, als zwei in sich versunkene Wii-Spieler in nächster Nähe zu virtuellen Tennisschlägen ausholten. Da kam mein Hund aus nur scheinbar tiefem Schlaf und stand bei uns, stand uns bei, koste es ihn, was es wolle – und was es ihn kosten könnte, war für ihn aus seiner dunklen Vergangenheit wahrlich ermesslich. Ein zitternder Held.

Mein Hund hat nie zu lieben verlernt.

Mein Hund lebt Liebe, mein Hund zeigt, dass Liebe alles vermag. Sechs Jahre Tierheim, davor ein Leben – wir ahnen es nur – an einer Kette, die ihm ins Fleisch schnitt, mit Herren, die ihm Schlimmes taten. Ein Leben ohne Liebe. Und doch erkannte er unsere Liebe, sobald sie ihn traf, wuchs ihr entgegen, entwuchs dem Schmerz. Schon an unserem ersten Abend gab er sich ganz: legte sich auf den Rücken, zeigte die Kehle – was er niemals seither wieder getan hat, denn er hasst es, auf dem Rücken zu liegen. Und doch schenkte er diese Geste, die sagt: Ich bin dein Hund und ihr meine Herren. Mein Hund liebt immer, mein Hund liebt innig und entfaltet immer neue Weisen, das zu zeigen.
Manchmal ist mein Hund mir böse, nämlich dann, wenn ich seine Grenzen nicht achte. Wenn mein Hund böse ist, spreizt er die Ohren schief ab, schaut scheel und lässt die Lefzen beben. Früher war er böse, wenn man ihn abends beim Schlafen störte. Heute, nach zwei Jahren Liebe, ist er empört, wenn ich ihn abends zu streicheln aufhöre, wenn er – vermeintlich – schläft. Heute ist er manchmal ein ganz klein wenig böse, etwa dann, wenn ich ihm die Pfote verbinden muss, an der er lieber schlecken würde, oder wenn ich seinen Fängen etwas entwinden muss, was er nun wirklich nicht fressen sollte. Früher wie heute, wenn mein Hund mir böse ist, entschuldigt er sich danach, schmiegt sich an und leckt meine Hand. Mein Hund kann in einem Moment die Lefzen beben lassen und mir im nächsten die Hand lecken. Ich weiß, wie er das meint. Ein geliebter und mich wider-liebender Bösewicht.
Nach zwei Jahren Liebe lacht er, macht Hundewitze. Zwei Jahre Liebe und er beginnt sich zu trauen, mit seinen Hundefreunden zu spielen. Zwei Jahre Liebe und er beginnt zu bemerken, dass er in dieser Welt etwas bewirken kann – und bastelt erstmalig nach all der Zeit an seinem Pfotenverband herum. Liebe, immer – und alles kann gut werden.

Mein Hund ist in so vielen weiteren Hinsichten wunderbar. Er hat ein unbeschreibliches Ohrenspiel. Er pustet die Backen auf, wenn ihm langweilig ist. Er hat meiner Sprache so viele neue Bilder gegeben. Er will von seinen beiden Herren Nachtisch gereicht bekommen – natürlich per Hand! Nicht einfach so auf den Boden legen!  Er kommt immer in den Raum geschwebt, in dem ich mich – und sei es für einen Moment – aufhalte. Er sagt Gute Nacht und kommt morgens an jeder Seite des Bettes schauen, ob wir noch – oder wieder – da sind.

Mein Hund ist in so vielen Hinsichten wunderbar. Ich wäre gern wie er. Ich bin nicht so freundlich, so mutig und so liebe(n)soffen. Aber ich bemühe mich. Und das nicht nur, um dem schönen französischen Spruch Genüge zu tun.

 

Archiv:

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17. März bis 30. November 2013: Mit dem Wasser, mit dem die kochen, würde ich nicht einmal meinen Abort wässern.

12. Februar bis 16. März 2013: Ein Mensch wie ein Moor

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17. September - 11.November 2012: Wie ein Wunsch geboren wird

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8. Juli - 29. Juli 2012: Wortlos bedeutungsvoll

28. Mai - 8. Juli 2012: Ein Band umschmeichelt alle Dinge

24. März bis 27. Mai 2012: Ich möchte mir meine Naivität bewahren

11. März bis 24. März 2012: Die Ewigkeit wälderner Hallen

29. Januar bis 11. März 2012: Die Reiherballade

14. Januar bis 29. Januar 2012:  Die "golden rules for life" und der "Teppich aus Kuhfell - jedes Stück ein Unikat"

2. Januar bis 14.Januar 2012: Mein guter Vorsatz: Weiter so!

18. Dezember 2011 bis 2. Januar 2012: ScheinHEILIGe Nacht

28. November bis 18. Dezember 2011: In der heutigen Zeit sollte man am besten in die Brücke investieren, unter der man einmal schlafen will.

20. November bis 28.November 2011: Novembergewisper der Weltgeschwister

13. November bis 20. November 2011: Mutter Erde ist duldsam und geduldig. Und unbesiegbar.

6. November bis 12. November 2011: Für den hartgesottenen Tierfreund ist das Ziegenproblem ein Autoproblem

28. Oktober bis 6.November 2011: Was sicher ist, bedarf keiner Worte

23. bis 28 Oktober 2011: Was bleibt mir nach gelebten Tagen?