Umweltfreunde sollten Echtpelz tragen - Echt jetzt!?


"Pelz ist umweltfreundlich!", so heißt es auf allen verfügbaren Informationskanälen der nationalen und internationalen Pelzindustrie. Insbesondere sei Echtpelz umweltfreundlicher als Kunstpelz.

Eine starke Aussage – was steckt dahinter?

Recherchiert man näher, wird deutlich, dass sich diese Behauptung auf eine einzige Studie bezieht, die von der Firma DSS Management Consultants Inc. Aus dem Oktober 2012 stützt.

Diese Studie trägt den Titel „Eine vergleichende Life-Cycle-Analyse: Naturpelz und Kunstpelz“ und wurde von der International Fur Trade Federation in Auftrag gegeben. Laut dieser Lobby-Organisation der Pelzindustrie belegt die Studie: Kunstpelz sei über seinen Lebenszyklus ("Life Cycle") 4 mal schädlicher für die Umwelt, 2,3 mal problematischer hinsichtlich des Klimawandels und 2,7 mal ressourcenintensiver (S. 11).

Stimmt das? Und wie kommt man darauf?

Die Studie stellt eine sog. „Life Cycle“-Analyse zu den verschiedenen Umweltauswirkungen von Echt- und Kunstpelzmänteln an. Eine „Life Cycle“-Analyse schaut sich die verschiedenen Schritte im „Lebenslauf“ eines Produktes von den Rohstoffen und Prozessen seiner Herstellung über den Transport, die Vermarktung, die Nutzung und schließlich die Entsorgung an und bemisst jeweils die Auswirkungen dieser Schritte auf verschiedene interessante Parameter, sog. „Endpunkte“ der Analyse. Die Endpunkte der Studie zu Echt- und Kunstpelz sind: Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit, Ökosystembeeinträchtigungen, Beiträge zur Klimaerwärmung und Ressourcennutzung, jeweils in feinere Kriterien, wie z.B. Beeinträchtigung durch krebserregende Substanzen, aufgeschlüsselt.

Die Bewertung der verschiedenen Produkte wird mittels international anerkannten Indices vorgenommen, deren Zustandekommen mir nicht bekannt ist; an diesem Punkte vertraue ich der Firma DSS, dass sie die Methode lege artis angewendet hat. Die Datengrundlage sind eigene Recherchen der Autoren, z.B. mittels Fragebögen (die im vorliegenden Falle, wie die Autoren der Studie einräumen, sehr dürftig sind), sowie Literaturrecherchen oder öffentliche Datenbanken, die z.B. schon Indexwerte für bestimmte Produktionsschritte beziffern.

Also alles wissenschaftlich korrekt und nicht zu beanstanden? Ja und nein.

Einerseits kann man DSS wahrscheinlich keine unlauteren Absichten vorwerfen, zumal sie die teils begrenzte Aussagekraft ihrer Studie und die Gründe dafür (siehe unten) klar benennen. Im Rahmen des „normalen Maßes“, wie sich ein Auftragnehmer einer solchen Studie mehr oder weniger zwangsläufig etwas auf den Standpunkt seines Auftraggebers, in diesem Falle der Pelzindustrie, zubewegt, möchte und kann ich (auf Grundlage meiner eigenen begrenzten Kenntnis darüber, wie „Life Cycle“-Studien durchgeführt werden) keine Zweifel geltend machen, dass die Standards einer solchen Analyse missachtet worden wären.

Andererseits gibt es in der Studie – und vor allem in ihrer Rezeption und Nutzung durch die Pelzindustrie einige ganz eklatante Schwierigkeiten, die es verdienen, näher in Augenschein genommen zu werden.


1. „Biologisch abbaubarer“ Pelz?

Die Studie beginnt gleich im ersten Absatz mit einer schwierigen Behauptung: Es gebe „Fakten“ zur Umweltverträglichkeit von Pelz, beispielsweise, dass Pelz „biologisch abbaubar“ sei (S. 1). Dies ist ein auch unabhängig von der Studie vielgenanntes Argument der Pelzindustrie – aber so ganz bei der Wahrheit bleibt man dabei nicht. Denn durch aufwendige Gerbungsprozesse mittels schwer umwelt- und gesundheitsgefährlicher Gifte (die auch noch im Endprodukt nachweisebar sind), wird ein eigentlich natürliches Produkt vor der Verwesung bewahrt. Ein „guter“ Pelz ist bis auf die Abnutzungserscheinungen deshalb praktisch unbegrenzt haltbar und eben nicht mehr ohne weiteres biologisch abbaubar.

 

2. Omas Pelz für die Ewigkeit?

Die Aussagen der Studie beziehen sich auf einen "typischen" Echtpelz und einen "typischen" Kunstpelz. Genauer bedeutet das: Als Grundlage der Schätzungen dienen Ganzkörper-Pelzmäntel und Ganzkörper-Kunstpelzmäntel (S. 3).

Ohne weitere Begründung oder Nennung einer Datenquelle wird angenommen, ersterer halte 30, letzterer 6 Jahre.

Abgesehen von der Plausibilität dieser Annahmen, ignoriert diese Studie im Vornherein, dass das maßgebliche Geschäft der Pelzindustrie (70% des Umsatzes laut des Reports „Die Wahrheit über Pelz“ des NDR von 2015) heute mit Pelzbesätzen gemacht wird.

Im Gegensatz zu Ganzkörper-Pelzmänteln von Oma, die tatsächlich über Jahrzehnte genutzt werden (bzw. im Schrank hängen…), ist die Lebenserwartung von Pelz z.B. an der Kapuze oder der Mützegenau so lange, wie die textilen Teile des Kleidungsstücks. Diese werden aus Qualitäts- oder Modegründen (Trends!) nie im Leben 30 Jahre getragen. Werden Kleidungsstücke ausgetauscht oder weggeworfen und ein neues Pelzassessoire-Produkt gekauft, ist der tatsächliche Impact von Pelz auf die Umwelt maßgeblich größer als im Rechenbeispiel der Studie.
Man müsste also gewissermaßen, wenn man gleichwertige Produkte (z.B: billige China-Pelz-Besatz-Jacke mit billiger China-Kunstpelz-Jacke oder hochwertige Pelzbesatz-Parkas mit hochwertiger Nicht-Pelz-Mode) vergleichen will, die in der Studie angegebenen Ergebnisse mit 30/6, bzw. 6/30 multiplizieren (=die Indikatorwerte für Echtpelz mit 5 malnehmen), um die unterschiedlichen angenommenen Haltbarkeitsdauern (30 Jahre für Pelz, 6 Jahre für Kunstpelz) rauszurechnen und die Indikatorwerte "auf einen Nenner" zu bringen.

Dann ergibt sich für heutzutage wirklich typische Massenprodukte mit Pelz- und Kunstpelzbesatz:

Kleidungsstücke mit ECHT-Fell-Besatz, die hinsichtlich der textilen Teile gleicher Qualität sind wie Produkte mit KUNST-Fell-Besatz, also die gleiche Lebensdauer haben, ...

... belasten Umwelt und Menschen mit einer 2,5-fach so hohen Menge krebserregender Stoffe,

... belasten Umwelt und Menschen in 3,7- bis 6,7-fach höherer Intensität mit weiteren gesundheitsschädlichen Stoffen,

... wirken sich 8 mal schädlicher auf die Ozonschicht aus,

... erbringen 5, bzw. 3,6 mal höhere Werte für aquatische, bzw. terrestrische Ökotoxizität,

... haben einen um 11,5 mal höheren Einfluss auf Ansäuerung und Nährstoffanreicherung des Bodens

... tragen 2,2 mal mehr zur Erderwärmung bei.

... verbrauchen ungefähr doppelt so viel Energie und 4,5 mal mehr mineralische Rohstoffe.

jeweils bezogen auf die Indexwerte. (Genaue Zahle und Rechenweisen auf Anfrage!)

 

3. „Best Practice“?

Da insbesondere für die Schritte im Lebenszyklus eines Echtpelz-Mantels kaum empirische Daten vorliegen oder ermittelt werden konnten (S. 2 und 3), hat die Firma DSS ihre Schätzungen auf die Annahmen gestützt, in der Pelzindustrie werde generell nach "Best Practice" operiert, also unter den Umständen entsprechend idealen Bedingungen (z.B. ordentliche Lagerung, Verwendung und Entsorgung der Chemikalien bei der Gerbung der Pelzherstellung und -verarbeitung; Verarbeitung der Produkte möglichst regional – beides ist nachweislich nicht generell oder eher in Ausnahmen der Fall). Die Unsicherheit dieser Annahme ist auch DSS bewusst, weshalb die Autoren der Studie ausdrücklich schreiben: „Deshalb wird hier nicht die Behauptung aufgestellt, dass diese „Life Cycle“-Analyse einen repräsentativen Lebenszyklus eines Echtpelzmantels widerspiegelt. Stattdessen ist der Lebenszyklus des Echtpelzproduktes repräsentativ für gegenwärtige 'good management practices'.“ (S.4).

 

4. Zahlen, ja – Bedeutsamkeit? Ungewiss.

Ein Unterschied in Zahlen bedeutet zunächst einmal überhaupt nichts. Schaue ich beispielsweise in meinen Freundeskreis und stelle fest, dass drei meiner Freundinnen 1,70, 1,80 und 1,90 Meter groß sind und drei meiner männlichen Bekannten 1,60, 1,70 und 1,80 Meter – kann ich dann darauf schließen, dass Frauen größer sind als Männer? Natürlich nicht, denn erstens habe ich nur winzige Stichproben untersucht und zweitens variieren die Größen von Männern und Frauen so erheblich, dass eine Kleine Stichprobe diese Variation nicht in Zahlen „einfangen“ kann.

Insofern bringt es auch überhaupt nichts, festzustellen, dass Echtpelz so-und-so-viel-mal umweltverträglicher ist als Kunstpelz (wenn das denn überhaupt zahlenmäßig so stimmen sollte, siehe oben). Statistisch betrachtet müsste man eine sogenannte „Signifikanz“ dieser zahlenmäßigen Unterschiede berechnen. Das ist eine Angabe darüber, ob man davon ausgehen kann, dass ein Unterschied, den man in den Zahlen gefunden hat, auch tatsächlich „so ist“ - oder ob er nur durch Zufall zustande gekommen sein könnte (wie in meinem Beispiel, wo ich zufällig nur in meinen Freundeskreis geschaut und ganz viele Unwägbarkeiten, z.B. wie groß anderer Leute Freunde so sind, nicht miteinbezogen habe).

Da die Autoren der Studie mehrfach einräumen, wie groß die Variationsbreite der Parameter für Echtpelzprodukte sind, wäre es umso wichtiger, die starken Behauptungen zu den Unterschiedlichkeiten in den jeweiligen Impacts von Echt- und Kunstpelzprodukten durch eine statistische Signifikanzrechnung abzusichern – oder aber ein Vertrauensintervall anzugeben, dass die Variationsbreite der Ergebnisse umreißt. Beides ist in der Studie nicht geschehen.

 

Weitere Einschränkungen ...

...der Aussagekraft der Studie sind die folgenden (die von DSS auch genannt werden):

Fehlende Daten

Insbesondere für die Schritte im Lebenszyklus eines Echtpelzprodukts bemängelt DSS eine schlechte Datenbasis. Man habe sich um Daten aus erster Hand bemüht und z.B. Fragebögen an Betriebe der Pelzindustrie ausgesandt, aber kaum Rückmeldung erhalten. Statistische Schätzmethoden und persönliche Einschätzungen ersetzen in der Analyse die Primärdaten. Das ist kein unübliches Vorgehen (also DSS ist hier kein Vorwurf zu machen) - aber deshalb nicht weniger problematisch hinsichtlich der Aussagekraft und Verallgemeinerbarkeit der Ergebnisse.

Variations-Über-Breite

Dies ist umso schwerwiegender, da laut DSS die Auswirkungen der einzelnen Schritte im Lebenszyklus eines Echtpelzproduktes je nach Handhabung der Prozesse sehr stark variieren können. Eine kleine Auswahl der kritischen Fragen: Was wird den Pelztieren gefüttert? Wo und wie werden Pelzmäntel gelagert? Wie werden die Chemikalien, die zur Gerbung verwendet werden, entsorgt? Werden Pelze zum Gerben vom Herstellungsland Kanada oder Finnland zum Gerben nach China geflogen?

Insofern hängt der tatsächliche Impact eines Pelzproduktes maßgeblich davon ab, wie die in seiner Herstellung beteiligten Menschen und Institutionen gewirtschaftet haben. In einer Welt, die auf Profit aus ist und angesichts der Tatsache, dass immer wieder schwerwiegende Mängel in den Herstellungsprozessen von Pelzprodukten dokumentiert werden, kann man davon ausgehen, dass die überwiegende Zahl der Pelzprodukte nicht nach „Best Practice“-Standards hergestellt und vermarktet wurden.

Mangelnde Transparenz

Da die verlinkte Studie nur eine Übersicht ist, ist leider nicht genau ersichtlich, welche Parameter und Prozesse genau in die einzelnen Schritte des „Life Cycle“ der Produkte miteinbezogen wurden. Insofern kann ich nicht prüfen und mit Sicherheit sagen, wie plausibel die getroffenen Annahmen sind und ob eventuell Prozesse vernachlässigt wurden. Teils wurden aber völlig hanebüchene Annahmen getroffen, etwa, dass Echtpelzmäntel zur Lagerung über den Sommer aus dem Kleiderschrank der Besitzer an andere Orte verfrachtet werden, oder eben, dass Pelze biologisch abbaubar seien (siehe oben). Insofern steht nur zu befürchten, dass eine nähere Untersuchung der Detailannahmen noch weitere Seltsamkeiten zutage fördern würde. Auch ist nicht klar, ob und wie weniger augenfällige Teilprozesse im Lebenszyklus eines Produkts miteinbezogen wurden, z.B. dass die Häute zwischen Häutung und Gerbung gekühlt und/oder unter Luftabschluss gelagert werden müssen, damit keine Verwesung einsetzt. Darüber hinaus behaupten die Autoren im Endteil der Studie, einige Annahmen zu Ungunsten der Pelzindustrie getroffen zu haben – in wie weit das zutrifft und wie vertrauenswürdig die Schlussfolgerungen demnach sind, ist mangels Quellenverweis der Autoren und Fachkenntnis meinerseits nicht nachvollziehbar.

Kombinatorik (leider nur) für Anfänger

Schließlich räumen die Autoren ein, dass die Schlussfolgerungen (Echtpelz besser als Kunstpelz) stark von der Belegung der angenommenen Parameter abhängen. Ändern sich einzelne oder mehrere Parameter, können die Ergebnisse der Analyse dramatisch unterschiedlich ausfallen. Die spielen die Autoren anhand einiger Beispiele durch, in denen sie einzelne Parameter isoliert variieren. Allerdings wird nicht untersucht, was geschieht, wenn sich mehrere der vielen vielen angenommenen Parameter zugleich ändern – wie es angesichts der genannten Unsicherheiten der „Daten“-Basis von Produkt zu Produkt wahrscheinlich ist.

 

Also...

Alles in Allem kann man also den Autoren der Studie nur zustimmen, dass „aus diesen Gründen keine kategorische Aussage getroffen werden kann, dass ein bestimmtes Produkt einem bestimmten anderen überlegen ist“ (S. 11).

Genau so eine Überlegenheit von Pelz suggerieren aber die Pauschalaussagen, mit der die Pelzindustrie auf Grundlage der Studie hausieren geht: "Echtfell ist umweltfreundlich. Punkt. Zudem ist Echtfell – immer – umweltfreundlicher als Kunstfell."

Wie massiv eine entsprechende Behauptung von welchen Voraussetzungen abhängt, wird verschwiegen. Ebenso wenig wird gesagt, wie sich die „Fakten“-Lage ändert, wenn man die Voraussetzungen nicht akzeptiert und die Annahmen ändert. Dass eine Änderung der Voraussetzungen die Aussage auf den Kopf stellen und die Pelzindustrie einmal mehr entlarven kann – das haben wir ja oben gesehen.

Ihr, liebe Leser dieses Beitrags, seid nun schlauer.

 

Ist Echtpelz also umweltfreundlicher als Kunstpelz?