Aus der Woche gegriffen

 

Schicksalskröte

 

Schicksalskröte

 

Manchmal schreibt das Leben Geschichten, die durch eine so übergroße Portion Zufall zustande gekommen zu sein scheinen, dass man kaum an wirklichen Zufall glauben mag. So auch diese.

 

Da hatte ich gerade für meinen Hund einen Fahrradanhänger beschafft und er hat diesen in wenigen Trainingstagen als fahrende Höhle lieben gelernt, dass ich mich weit früher als gedacht traute, einen ersten größeren Ausflug mit ihm zu machen.

Auf die Plätze...fertig...
...los

 

 

 

 

 

 

 

 

 

So fuhren wir an einem heißen Tag zum ersten Mal in ein weiter entfernt gelegenes Waldstück bei Stuttgart. Wir sannen und schnüffelten die Wege entlang und mochten kaum heimkehren. Obwohl mich die unverrichtete Arbeit zur Rückfahrt drängte, gaben wir dem Locken eines kleinen Trampelpfads nach. Kurz nachdem wir hineingebogen waren, stutzten Hund und ich: Er roch und ich sah etwas in wenigen Schritten Entfernung in gemächlicher Geschäftigkeit den Weg kreuzen. Erst, als wir herangetreten waren, erkannten wir: eine große Griechische Landschildkröte, die sich durch das Laub arbeitete. Mein Hund geriet in Unruhe (war er doch vor Kurzem erst von einer Artgenossin des Freigängers böse in die Nase gebissen worden) und ich in Sorge, denn trotz gegenwärtig bester griechenlandähnlicher Witterung war gewiss, dass die Schildkröte (ausgesetzt? ausgerissen? entführt?) alleine nicht lange würde überleben können.

So habe ich sie – trotz massiven Protests und eines „Shitstorms“ ihrerseits – eingesammelt, mit ein paar Blättern zum Verbergen und durch Jute-Einkaufstüten gut gepolstert in eine Tasche gesteckt (gut, wenn man zu faul ist, den Inhalt des Multifunktions-Einkaufs-Ausflugs-Uni-…-Rucksacks der jeweiligen Funktion gemäß umzuräumen…) und mitgenommen.

 

Das Googeln nach „Tierheim Stuttgart“ lieferte dann einen unbequemen Treffer: wahlweise 7km Luftlinie quer durch Wald und Feld und über Stock, Stein und Berg oder 15 km durch Beton und Asphalt der unzumutbaren Stuttgarter Innenstadt bis in jenen abgelegenen wunderschönen Stadtteil mitten im Wald, der das Tierheim beherbergt. Was man aus Überzeugung nicht an automobilen PS hat, muss man in den Radfahrerbeinen haben und in sagenhaften 40 Minuten waren eine sehr durchgeschaukelte Schildkröte und ihre schweißnasse Fahrerin da. Die außerordentlich freundliche Mitarbeiterin des tollen Tierheims Botnang nahm den Findling sehr liebevoll und meine Daten äußerst penibel auf – dann ging’s ohne Kröte mit doppelt so waghalsigen (und lustvollen) Kurven durch den Wald zurück.

 

Schildkröte gut untergebracht – alles gut? So ganz ließ uns die Sache nicht in Ruhe und wir entschieden, einen Zettel mit der Fundmeldung und dem sicheren Aufenthalts- und ggf. Abhol-Ort der Schildkröte an jenem Wäldchen auszuhängen. Aber als ich einen Tag darauf mit frisch gedruckten Seiten und einer großen Klebestreifenrolle dort ankam – empfing uns eine entsprechend lautende Suchmeldung!

 

Suchmeldung

 

Selten habe ich einen froheren Anruf getätigt: Die Schildkröte ist gefunden! Der sich unendlich erleichtert ausnehmende Schildkrötenfreund versprach uns einen fast unglaublich üppigen Finderlohn – aber erst musste die Identität der Schildkröte verifiziert und eine Verletzung, die sie sich wohl beim Ausbruch (bzw. Entführtwerden) zugezogen hatte, auskuriert werden. So dauerte es mit dem Nachweis von Zertifikaten (die Griechische Landschildkröte ist eine bedrohte Art!) und der Behandlung und Genesung des Findlings fast zwei Monate, bis sie wieder glücklich heimkehren konnte.

 

(c) http://www.landschildkroeten.de/wp-content/uploads/2009/06/landschildkroete-trinkt2.jpg(Die Originalkröte haben wir in all dem Stress leider nicht abgelichtet)

 

Wäre ich nicht an genau jenem Tag ins Wäldchen gefahren, wäre ich nicht zu genau jener Zeit in den Weg eingebogen, wäre ich nicht noch einmal wiedergekehrt, um die Fundmeldung auszuhängen und hätte ich nicht die Suchmeldung gelesen… Hätte, würde, könnte…

Aber es kommt noch ein bisschen besser.

 

Ich erhielt den Finderlohn – und in der Dankesnachricht schien es mir gut, darauf hinzuweisen, dass ich ihn für Pelz war Leben verwenden möchte. Darf man doch niemals sein tierschützerisches Licht unter den Scheffel stellen – muss man doch jede Gelegenheit nutzen, für die eigenen Ideale zu werben! Vielleicht, dachte ich, kann ich einen reichen Stuttgarter Porsche-Bonzen ein Stückchen weit für Tierrechte über den Haustierschutz hinaus gewinnen. Vielleicht kann ich mit gutem praktischem Beispiel vorangehen und zeigen, dass einige Radikal-Ökos durchaus sympathisch sind. Vielleicht kann ich mir aber auch Sympathie verspielen… sei’s drum.

Und was schrieb der freundliche Finderlohn-Spender? Dass er sich freue, dass das Geld gut angelegt sei. Das er sich auch gegen Pelz engagiere. Dass seine Seite pelzernte.de sei.

Das war schnell eingetippt und der Schildkröten- und ganz offenkundig auch Pelztierfreund stellte sich als veganer Überzeugungstäter und Initiator des Projekts „Vegotel“ heraus.

 

Zufall? Für die Erz-Rationalisten und Statistiker, die wissen, dass auch Ereignisse mit Wahrscheinlichkeit 0 eintreten können, vielleicht. Glück? Sicherlich. Vorsehung? Wer weiß.

Jedenfalls ist Pelz war Leben jetzt um 200 Euro für Kampagnenarbeit, einen wunderbaren Unterstützer, und den schicksalhaft anmutenden Fingerzeig darauf reicher, dass sich doch irgendwie alles lohnt.