Virago Fletu

Mein Name ist Uta Maria Jürgens, ich trauere um meine Mitgeschöpfe.

Während Rotpelzchen Rudolf den heiter-hoffnungsvollen, unverwüstlichen Anteil der idealistischen Seele verkörpert, der unverdrossen davon ausgeht, diese schlechte Welt doch noch ändern zu können, möchte auch der Gegenpart, die Trauer und lähmende Fassungslosigkeit angesichts der gemarterten Mitwelt, Ausdruck finden. Dies ist die Aufgabe von Virago Fletu, der wehklagenden Kämpferin.

 

Der Dumm St. Peter der Bergstraße

Der Anlass der ersten Erscheinung der Trauergestalt war gebührend.

Die katholische Kirche St. Peter, der sogenannte Dom (Dumm?) der Bergstraße, richtete am 9. November 2012 die alljährlich gut besuchte Hubertusmesse aus. Der heilige Hubertus selbst entsagte der Legende gemäß der Jagd, nachdem er die Gegenwart der göttlichen Macht in jedem Mitgeschöpf erkannt hatte. In seltsamer Verkehrung dieser Moral feiern jedes Jahr tausende Waidmänner und -frauen sogenannte "Hubertusmessen", um sich einen Segen für ihr blutiges Hobby abzuholen. Teils werden dabei  - welch unfassbare Vergewaltigung der christlichen Lehre - sogar die Waffen eingesegnet.

 

Ein letzter Gruß

Anlässlich dessen habe ich eine Mahnwache angemeldet. Schlicht und einfach, um den Vorgang nicht unwidersprochen zu lassen. 

 

Virago fletu

Nachdem ich vor einigen Wochen unversehens in eine Treibjagd am Heppenheimer Schlossberg geriet, die Schüsse und die Schreie der Getroffenen hörte und die anhaltende Verzweiflung und Verwirrung der Tierwelt noch über Tage später zu spüren meinte, musste ich die Trauer nicht mimen.

 

Mahnwache Laudenbacher Tor

Wo die Zufahrtsstraße "Laudenbacher Tor" mit der "Kirchengasse" und dem Heppenheimer Marktplatz zusammentrifft und nahezu jeder, der den Dom erreichen will, passieren muss, mahnwachte ich mit Trauerkranz und Grabstein, dessen Aufschrift den christlichen Spieß umzukehren gedachte, indem er dem Leser Matthäus (25, 40) vorhielt: "Was du einem meiner geringsten Brüder getan hast, das hast du mir getan"...

Mahnwache Marktplatz

...und so "Den Opfern der Jagd" zumindest eine jenseitige Gerechtigkeit am jüngsten Tag verhieß - vorbehaltlich eines Gottes, der sein Prinzip der schrankenlosen Liebe auch über Artgrenzen hinweg versteht.

 

Grabgelichter

Stumm, entrückt, gram war Virago Fletu vielen Passanten offensichtlich noch weitaus unangenehmer, als es eine keifende Anti-Jagd-Aktivistin je hätte sein können.

 

Passantwind

Niemand, der vorbeiging, ließ es sich nehmen, den Grabstein zu studieren, manche scheuen Blickes, andere unverhohlen. Und es gab kaum jemandem, dem ein kurzes Stutzen, eine kleine Unsicherheit nicht anzumerken gewesen wäre. Die meisten Jäger ließen es sich dann ein (pseudo?)spöttisches Schnauben kosten, die meisten Jägergattinnen wandten so unauffällig wie möglich ihren Blick wieder angestrengt der Straße zu.

Und dann gab es da noch ein paar Gestalten, die mit einem Groschen in der Hand an das Mahnmal herantraten und mich verwirrt fragten, wo denn der Einwurfschlitz sei. Wie bestürzte sie es zu erfahren, dass ich nicht etwa die Kollekte für die Hubertusmesse einsammle, sondern gegen die Jagd mahne. Was hatten sie wohl unter "Den Opfern der Jagd" verstanden!? Etwa die Jäger, die aus Versehen von ihren Kollegen bei der letzten Treibjagd angeschossen wurden? Auf jeden Fall entspannen sich so gute Gespräche, in deren Verlauf die einschlägigen Weltbilder, in denen das Mantra der Notwendigkeit der Jagd seinen Platz gleich neben dem Gesetz der Schwerkraft einnimmt, zumindest zeitweise etwas ins Wanken kamen.

 

Trauerkauer

Sei auch die Langzeitwirkung des Protestes dahingestellt, in jedem Fall war die Mahnwache ein persönlicher Erfolg, und sei es nur als Trauerarbeit.

 

Auffahrt zu St Hubertus

So war, nachdem die guten Bürger in der Domkirche verschwunden waren und wir unsere Zelte abbrachen, auch wieder Raum für Selbstironie und ketzerische Fragen. Zum Beispiel: Was wäre, wenn der Fahrstuhl mitsamt aktivistischem Inhalt nicht nur in den dritten Stock, sondern noch etwas weiter fahren könnte, damit ich den heiligen Hubertus einmal persönlich fragen kann, was er von dem pseudochristlichen Humbug unter seinem Namen eigentlich hält?

Hier geht es weiter: Auch im erzprotestantischen Norden Deutschlands lassen sich Jäger einen christlichen Segen verpassen. Dazu kann Virago Fletu natürlich nicht schweigen. Schon gar nicht, wenn es sich um ihre Heimatstadt handelt...